Klare Kriterien für die Teilnehmerauswahl

Ausreichende Sprachkenntnisse im Deutschen, mathematische Grundkenntnisse, Interesse, Motivation und Orientiertheit sind zentrale Voraussetzungen für den Beginn eines BOF-Kurses.

Berufsbildungsstätten, die einen Kurs im Rahmen des Programms „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ (BOF) durchführen, müssen vor Beginn prüfen, ob interessierte Personen auch die Voraussetzungen für eine spätere Vermittlung in die angestrebte Ausbildung oder Einstiegsqualifizierung mitbringen. Dies ist kein einfaches Unterfangen ….

Zur Unterstützung dieser Aufgabe hat das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) erstmalig ein Kriteriencluster erarbeitet, um die Auswahl der Teilnehmenden für eine Förderung in Kursen der Berufsorientierung und -vorbereitung auf eine begründete Basis zu stellen. Die ausführlichen Ergebnisse sind im Abschlussbericht „ Auswahlprozesse im Kontext der Berufsorientierung für Geflüchtete (PDF, 1MB, Datei ist nicht barrierefrei)“ nachzulesen. Ergänzend hat das BIBB nun einen Praxisleitfaden herausgegeben, in dem die Kriterien anwendungsnah beschrieben werden. Zudem werden zehn mögliche Eignungsfeststellungsverfahren vorgestellt, mit besonderem Augenmerk auf Sprach- und Kultursensibilität. Die Beschreibung von Auswahlkriterien und möglichen Verfahren sollen allen Programmen für Zugewanderte im Übergang zur Ausbildung einen Orientierungsrahmen geben. Die wissenschaftliche Expertise des f-bb wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Forschungsdesign

Ziel der Expertise

Die Beschreibung von geeigneten Auswahlkriterien und die Darstellung von zielgruppenspezifi-schen Testverfahren sollen einen Beitrag zur Qualitätssicherung von Unterstützungsangeboten in der Berufsorientierung und Vorbereitung von Geflüchteten und Zugewanderten leisten (1).

Methodisches Vorgehen (2):

  • Aufbereitung des aktuellen Forschungsstands zu Eignungskriterien und Eignungsfeststellungsverfahren im Kontext der Berufsorientierung für Geflüchtete.
  • Qualitative telefonische Befragung und quantitative Online-Befragung von BOF-Trägern.
  • Qualitative telefonische Befragung und standardisierte Paper-Pencil-Befragung mit Ausbildungsbetrieben mit BOF-Teilnehmenden in der Betriebsphase.
  • Durchführung eines Fachworkshops mit Expertinnen und Experten der Berufsbildung.
  • Transferworkshop mit Interessierten aus der Praxis.

Erfahrungen der BOF-Träger bei der Auswahl von Teilnehmenden

Das Forschungsteam des f-bb – Kristin Hecker, Patrick Hilse und Laura Roser – hat die BOF-Träger u. a. nach ihren Kriterien bei der Auswahl von Teilnehmenden für einen Kurs befragt. Hieraus konnten folgende zentrale Aussagen gesammelt werden:

Deutschkenntnisse sind wichtig, Sprachnachweise jedoch nicht immer hilfreich

Teilnehmende an BOF-Kursen sollten laut der BOF-Förderrichtlinie mindestens das Sprachniveau B1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) mitbringen. Die Mehrheit der Träger (79%) bestätigt die große Bedeutung des geforderten Sprachniveaus für den Verlauf des Kurses. Da vorhandene Sprachzertifikate häufig wenig aussagekräftig sind, verlassen sie sich hauptsächlich auf die im eigenen Auswahlverfahren erlebten Sprachfähigkeiten (3).

Integrationskurs oder vergleichbare Maßnahme sollte vorher abgeschlossen sein

Neben den erforderlichen Deutschkenntnissen hält ein Großteil der befragten Träger (76%) einen vorab besuchten Integrationskurs oder entsprechende schulische bzw. vergleichbare (Vorbereitungs-)Maßnahme für ein zentrales Soll-Kriterium – die Teilnehmenden sollten also nicht nur bereits Deutschkenntnisse erworben, sondern sich auch mit wesentlichen (kulturell bedingten) Aspekten der deutschen Gesellschaft auseinandergesetzt haben (4).

Erste Vorstellungen über zukünftigen Ausbildungsberuf sind besonders hilfreich

Der bzw. die Interessierte sollte auf jeden Fall erste Erwartungen an einen möglichen Ausbildungsberuf formulieren können. Dies befanden 71 Prozent der befragten Träger als wichtig. Fast 90 Prozent der Träger fragen Interessierte nach ihren Erwartungen an einen BOF-Kurs, was die Bedeutung der individuellen „Orientiertheit“ der Teilnehmenden unterstreicht (5). Weniger wichtig für eine erfolgreiche Teilnahme sind demgegenüber nach Aussage der Befragten (44%) Kenntnisse des deutschen Ausbildungs- und Beschäftigungssystems (6).

Motivation und Interesse werden zusätzlich geprüft und haben einen hohen Stellenwert

Bei der Frage nach weiteren wichtigen Auswahlkriterien als die vom Programm vorgegebenen, nennt die Mehrheit der befragten Träger (80%) Motivation und Interesse. Dabei wird ausdrücklich ein Interesse an einer Tätigkeit im Handwerk überprüft. Hintergrund dieser Bedeutung ist, dass ein BOF-Kurs bis 2018 ausschließlich auf eine Ausbildung im Handwerk vorbereitet hat  (7).

Auf der Grundlage der Befragungsergebnisse und vorhandener Studien und Fachliteratur haben die Autorinnen und Autoren Auswahlkriterien beschrieben. Diese wurden in einem Fachgespräch mit BOF-Trägern und weiteren Expertinnen und Experten der Berufsbildung aus Wissenschaft und Praxis diskutiert und abgestimmt. Das daraus entstandene Kriteriencluster beschreibt Kriterien auf drei Ebenen, die eine Orientierung für die Auswahl von Interessierten geben und die Begleitung von Teilnehmenden unterstützt.

Kriteriencluster gibt Orientierung bei der Auswahl von Teilnehmenden

Das vom Forschungsteam erarbeitete Kriterienmodell teilt die zu erfassenden Merkmale in drei Ebenen ein (8):

  1. Voraussetzungen, die für die Teilnahme an einem Kurs der Berufsorientierung bzw. -vorbereitung für Zugewanderte erfüllt sein sollten.
  2. Kriterien, die den individuellen Förderbedarf während des Kurses erfassen.
  3. Weitere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die v. a. für eine Ausbildung von Bedeutung sind und deren (Weiter-)Entwicklung im Rahmen der Kurse begleitet werden soll.

Diese Einteilung von Kriterien soll Anbietern von Kursen ein gezieltes und transparentes Auswahlverfahren ermöglichen und bei der Einschätzung des weiteren individuellen Bedarfs an Förderung und Unterstützung helfen.

Vier Kriterien sollten Teilnehmende unbedingt erfüllen

Die Berufsbildungsstätten, die Kurse anbieten, sollten abgewogen und verantwortungsvoll entscheiden, wen sie im Kurs aufnehmen. Die erste Ebene des Modells beschreibt vier Kriterien, die auf jeden Fall geprüft werden sollten und „maßgeblich für einen erfolgreichen Kursabschluss und eine anschließende Vermittlung in Ausbildung“ sind (9).

  • ausreichende Deutschsprachkenntnisse für die schriftliche und mündliche Kommunikation entsprechend den Anforderungen des Kurses; das betrifft z. B. Lese-/Textverständnis, (Recht-)Schreiben, Grammatik, Wortschatz, Satzbau
  • Mathematische Grundkenntnisse, worunter Kenntnisse der Grundrechenarten sowie ggf. Bruchrechnen, Prozentrechnen, Dreisatz, Geometrie, Maß- und Größeneinheiten verstanden werden.
  • nachvollziehbar begründete Motivation und Interesse für eine Ausbildung sowie eine dem gewählten Berufsfeld entsprechende Tätigkeit der jungen Geflüchteten
  • Orientiertheit im Sinne einer bereits erfolgten Auseinandersetzung mit eigenen Stärken sowie Anforderungen des angestrebten Ausbildungs- und Berufswegs
Skizze
Abb. 1: Modell zur Einteilung der Kriterien für die Auswahl der Teilnehmenden (10)

Weiterer Unterstützungsbedarf sollte gezielt erfasst werden

Neben den zentralen Voraussetzungen gibt es eine Reihe von Merkmalen, die schon bei Beginn des Kurses erfasst werden sollten, um eine gezielte individuelle Förderung zu ermöglichen und um zu wissen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten im Laufe des Kurses vermittelt werden müssen, damit die Teilnehmenden auf die Anforderungen in der Ausbildung vorbereitet werden. Wie sieht es mit weiteren schulischen Basiskenntnissen aus? Wie ist der Stand der Methodenkompetenz? Verfügt der/die Teilnehmende bereits über in der Ausbildungs- und Arbeitswelt geforderte Softskills, wie zum Beispiel Pünktlichkeit, Eigeninitiative, Kritikfähigkeit oder auch selbstständige Arbeitsweise oder müssen diese gefördert werden? Eine Vorschlagsliste der zu erfassenden Merkmale zur weiteren individuellen und spezifischen Unterstützung wird im Praxisleitfaden aufgeführt (11).

Praxisleitfaden unterstützt durch Übersicht möglicher Verfahren

Auf der Grundlage der erfassten Kriterien hat das Forschungsteam bestehende Testverfahren gelistet, analysiert und für eine mögliche Anwendung bei Geflüchteten und Zugewanderten ausgewertet. Dabei wurden auch Verfahren bewertet, die einige BOF-Träger bereits anwenden.

Zehn ausgewählte Verfahren werden in Form von Steckbriefen vorgestellt. Alle Informationen zu den Verfahren sind für die Praxis aufbereitet und beinhalten unter anderem neben einer Kurzbeschreibung auch die jeweils erfassbaren Kriterien sowie Aussagen zur Sprach- und Kultursensibilität, Dauer, Kosten, Materialien und technischen Voraussetzungen (12).

Neben den Steckbriefen erhalten die Leserinnen und Leser Hinweise zur Durchführung eines ausführlichen individuellen Gesprächs bzw. eines biografieorientierten Interviews. Dieses ist nach Aussage der befragten BOF-Träger sowie der Fachliteratur ein entscheidendes Element in einem Auswahlverfahren. Es ermöglicht eine ganzheitliche Sicht auf die Geflüchteten bzw. Zugewanderten und ihren bisherigen Werdegang sowie auf ihre aktuelle Situation (13).

Die Forscherinnen und Forscher empfehlen ausdrücklich eine Kombination verschiedener Verfahren. Der Leitfaden dient als Orientierungs- und Handlungshilfe für BOF-Projekte und ähnliche Unterstützungsangebote, um zukünftige Auswahlprozesse zuverlässig, transparent und mit Hilfe standardisierter Verfahren durchzuführen. Damit ist das Ziel einer verbesserten Vermittlung in Ausbildung bzw. Einstiegsqualifizierung verbunden (14).

Der Praxisleitfaden kann kostenfrei bestellt werden: Bestellmöglichkeit beim BIBB

(1) Hecker et al. 2019, S. 9

(2) ebd. S. 17ff.

(3) ebd. S. 23f.

(4) ebd. S. 26

(5) ebd. S. 30

(6) ebd. S. 26

(7) ebd. S. 28f.

(8) ebd. S. 32f.

(9) Hecker et al. 2020, S. 15f.

(10) ebd. S. 14

(11) ebd. S. 16ff.

(12) ebd. S. 28ff.

(13) ebd. S. 21f.

(14) Hecker 2019 S. 53f.